Berliner Zeitung 16.07.1994
Umzug in den Bunker ?
Wer die Bundesstadt auf der B 9 in südlicher Richtung verläßt und dann ins weinberggerahmte enge Ahrtal abbiegt, kann nach ein paar Autominuten rechts eine zurückversetzte große Betonwand bewundern, hinter der es steil bergauf geht. Irgendwie paßt das Ding nicht in diese Rotwein- Landschaft.
Doch hinter der Wand, die in Wirklichkeit ein Tor ist, erstreckt sich ein erstaunliches Innenleben. Kilometerlange Gänge führen quer durch die Ahrberge bis fast an die Stadtgrenze Bonns. Feldbetten und moderne Telefonanlagen gibt es hier, stählerne Zwischentüren und vor allem ein großes Schweigen. Denn das Tunnelsystem liegt verlassen da.
Der geheime Regierungsbunker der Bundesrepublik Deutschland, der im Ernstfall Notregierung und Notparlament aufnehmen soll, ist seit fünf Jahren nicht einmal mehr für Übungen benutzt worden. Der Ostblock hat aufgegeben, und für "out-of-area"-Einsätze ist die Anlage zugegebenermaßen etwas falsch plaziert. Gegen wen will man sich hier schützen?
Der Unterhalt des Bunkers, dessen Karriere zur Kaiserzeit als Eisenbahntunnel begann, später Hitlers V 2-Raketen beherbergte, ist nicht billig und erreicht zweistellige Millionensummen im Jahr - immerhin wird er ständig bewacht. Deswegen ist hinter den Bonner Kulissen ein Streit entbrannt, was mit dem Monstrum passieren soll. Sozialdemokratische Abgeordnete plädieren dafür, die Anlage auf Champignonzucht umzurüsten.
Die Bundesregierung macht es der Anlage gleich - sie schweigt. Nur der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Struck hat in einem Zeitungsinterview gesagt, er wolle den Bunker als Kommandozentrale für alle denk- und undenkbaren Fälle erhalten. In Berlin gebe es eben so eine Sache nicht, und sie an der Spree neu aufzubauen, verteuere nur den Umzug enorm.
Ein Trostpflaster also für alle umzugsverschreckten Beamten: Wenn's brenzlig wird, zieht die Regierung sowieso wieder an den Rhein (bzw. einen seiner Nebenflüsse) um +++
Samstag, 16. Juli 1994
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