Freitag, 30. Januar 1998

Wir versaufen unsrer Bonzen ihr klein Bunker …

tilt-Heft 01 98


Regierungsbunker: Wegen Feindbildaufgabe geschlossen
Unterirdische Kanzlerbetten zu Champignonbeeten?
Wir versaufen unsrer Bonzen ihr klein Bunker …
Naja, wenn das so einfach wäre. Erstens ist das Ding gar nicht so klein, und zweitens ist da nicht viel zu versaufen. Die Herren Bonzen möchten ihren Schutzraum, in den sie sich im Falle des Atomknalls zurückziehen wollten, ja selbst gern loswerden – wegen Geldmangels.
Der Regierungsbunker mit der offiziellen Bezeichnung »Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes« und dem Tarnnamen »Dienststelle Marienthal« im Ahrtal bei Bonn wird dichtgemacht. Der Dernauer Atombunker entspreche nicht mehr dem Stand der Technik, teilte das Innenministerium dazu mit. Eine umfassende Renovierung würde mehr als 100 Millionen Mark kosten und zehn Jahre dauern. Unter Berücksichtigung der aktuellen Sicherheitslage sei die Anlage entbehrlich, findet das Innenministerium.
Das dicke Ding war in den 60er Jahren für fünf Milliarden Mark gebaut worden. 20 Kilometer südlich von Bonn sollten im Kriegsfall 3000 ausgewählte Personen im 30-Kilometer-Tunnelnetz Platz finden. Zu den besonders schützenswerten Personen gehörte ein Notparlament aus 22 Bundestagsabgeordneten und 11 Bundesratsvertretern, das Verfassungsgericht und – natürlich – die Regierung.
Die Ausstattung des Bunkers war eher spartanisch. Selbst für den Kanzler sei nur ein Feldbett vorgesehen, plauderten einst die Grünen aus. »Da kann man unseren Kanzler nicht reinlegen«, fand der grüne Innenexperte Manfred Such. Die Anlage habe noch nicht einmal den Standard einer Jugendherberge. Dafür hätten die Regierungsmitglieder aber Gerüchten zufolge unterirdisch von Bonn aus in den Bunker gelangen können. Ansonsten waren Details über den Tunnelbau geheim; alle Teilnehmer der dort regelmäßig stattfindenden Übungen zum Dritten Weltkrieg mußten die Verpflichtung unterschreiben, selbst Ehepartnern nichts über das zweiwöchige Leben unter Tage zu berichten. Nicht selten kam es unter den Eingepferchten zu Nervenzusammenbrüchen und depressiven Phasen. Und was die Mächtigen von dort aus nach ein Atomschlag noch zu verwalten gehabt hätten außer sich selbst, war ohnehin niemandem klar. Noch 1987 bei ein Wintex/Cimex-Manöver hatte die Friedensbewegung zu einem »Tag der offenen Tür am Regierungsbunker« aufgerufen und in Dernau demonstriert.
Unklar bleibt, ob die Mächtigen demnächst im Schutze der Geheimhaltung bei Berlin ihr unterirdisches Hauptquartier für den Ernstfall aufschlagen wollen. Für den Ahrbunker hat jedenfalls hat Manfred Such ein Nutzungskonzept parat. Man könne dort ja, fand der Polizist, Champignons züchten.

Thomas Schüsslin
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 1/98 entnommen.

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