Mittwoch, 2. Juni 1999

Bunker zu verschenken ?

STE NIELSEN I Ausgabe: 23
02-06-1999 Christian Litz*

BUNKER ZU VERGEBEN

Er hat 83000 qm Nutzfläche, 936 Schlafräume, fünf Krankenhäuser, einen Friseur - doch niemand will die frühere Fluchtburg der Bundesregierung haben. Nicht mal geschenkt. Ein enger, schlauchartiger Gang. Gerade. Neonhell. Giftgrün. Die Decke bogenförmig,an der höchsten Stelle etwa 2,20 Meter hoch. Die Wände voller Kabel, Feuerlöscher, Lautsprecher und Kameras. Ein Blick kilometerweit ins flimmernde, unwirkliche Nichts, tief drunten in der Eifel. Es gibt schier endlos lange Gänge hier, hundert Meter unter der Erdoberfläche, hineingebaut ins Schiefergestein. Schiefer ist der ideale Stein für Bunker.
Er gewährleistet den besten Schutz - auch bei Nuklearschlägen. Es gibt viele Querverbindungen hier unten, einige mit Kurven. Ein Labyrinth auf zwei Stockwerken.
Man braucht Werner Czeratzki, 64, um rauszukommen.
Seit 1997 rechnet die Bundesregierung nicht mehr mit einem Atomkrieg, will den Bunker loswerden. Czeratzki soll dabei helfen. Eine schwere Aufgabe, denn der Bunker habe die Bundesrepublik etwa drei Milliarden Mark gekostet, sagt er. Dazu kamen Unterhalt und Personalkosten seit 1965. Zuletzt verschlang der Bau zirka 25 Millionen Mark im Jahr. Niemand will das Relikt des Kalten Krieges. Nicht mal geschenkt, weil der Unterhalt so teuer ist: Allein Strom für mindestens 60000 Mark monatlich frißt der Grundbetrieb - ohne Bewohner. Damit ist er zu teuer für ein Abenteuerhotel, für Erlebnisgastronomie oder für ein Müllager.
Sechzehn Gebote liegen vor, viele Interessenten, auch der japanischen Millionär und die amerikanischen Spinner, haben nach kurzer Rechnerei nein gesagt. Wahrscheinlich läßt der deutsche Staat die Eingänge bald zubetonieren. Was Czeratzki traurig machen würde. Dreißig Jahre war er zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet. Ein mit seiner Familie vom Verfassungsschutz ständig überprüfter Geheimnisträger. Als Ingenieur dafür zuständig, daß beim Atomkrieg im Bunker Luft und Wasser sauber, daß Strom da und die Tore dicht gewesen wären.
Es ist kalt im Berg, Czeratzki trägt eine gefütterte Jacke. Über der linken Schulter hat der Regierungsoberamtsrat eine gelbe Plastiktasche mit Rauchmaske hängen. Was wäre gewesen, wenn? Oben sieht bereits eine ganze Generation die Worte 'Kalter Krieg' als Historie. Doch in diesem Berg lebt der Horror noch. Laut Szenario hätten in der einsamen Sicherheit überlebt: der Bundespräsident, der Kanzler, das Kabinett, der Bundestag, das Bundesverfassungsgericht aus Karlsruhe, die Spitzen der Bundesbank und der Bundeswehr. Wer nun mal so alles wichtig gewesen wäre nach dem Untergang der Welt, wie wir sie kennen. Wer nach 30 Tagen an die Oberfläche kommt, hat viel höhere Überlebenschancen, kann noch lange regieren und verwalten.
Wen und was auch immer.
Dreißig Tage Luft für 3000 Menschen. Genug Wasser, auch für die Zierfische, kleine bunte Guppies, im Aquarium des Kontrollraums Ost. Oben hätte es Hunderttausende Tote und Verseuchte gegeben, unten wäre es ein wenig eng geworden. Die Stadt unter der Erde besteht aus selbständigen Teilen, die jeweils 600 Menschen Platz bieten. Verbindungen der Bunkerflügel liegen 60 Meter tief, lassen sich in Sekunden sperren. Falls ein Flügel verstrahlt ist, existieren die Bewohner der anderen Teile weiter.180 Fahrräder stehen geputzt in den Ständern der zwei Bunker-Fahrradräume. 180 Beamte sorgten im Schichtbetrieb dafür, daß in kürzester Zeit das Land von hier aus hätte regiert werden können. Zahlen begeistern Werner Czeratzki: 19 Kilometer Tunnel, 83000 Quadratmeter Nutzfläche. 936 Schlafräume, 897 Büros, eine Druckerei, ein Friseursalon, fünf Kantinen, eine Tischtennisplatte, fünf Kommandozentralen, ein Ständer mit Broschüren des Beamtenbundes, zuständig für die Bunkerbelegschaft, fünf Krankenhäuser, 25000 Türen und dicke, richtig dichte Tore, riesige Steinrollen, die mit Druckluft in die Öffnung gesetzt werden.
Einige der Stollen im Berg haben Geschichte, wurden als Eisenbahntunnel geplant, im Zweiten Weltkrieg jedoch anders genutzt: Zwangsarbeiter mußten hier V2-Raketenmontieren. Der Bau des Regierungsbunkers begann 1960, fünf Jahre später war das erste Teil fertig.
Bis in die späten siebziger Jahre wurde er vergrößert und verbessert. Alle zwei Jahre wurde der Ernstfall geübt in den Wänden aus dem damals bestmöglichen Stahlbeton, 60 Zentimeter dick, umgeben von Bitumen und Glasfaser. Für jeden lagen Rauchmaske und Taschenlampe bereit, stand ein Feldbett mit Bundeswehrmatraze zur Verfügung. Seelischen Beistand hätte es für die Christen im Berg gegeben: Einer der engen Räume war für ökumenische Gottesdienste eines Militärkaplans vorbereitet.
Bauwerk 6, Raum 08: Hier hätte der Kanzler gelebt. Zwei mal drei Meter, LinoleumBoden, die Wände mit schall-schluckendem, gelochtem grünen Metall verkleidet. Ein Feldbett, ein Spind mit zwei Bügeln. Das Telefon steht auf dem Tisch, drei Rufnummern sind gespeichert, 'Zi 9', 'Zi 9b' und 'Zi 10': das Kanzleramt, die drei Räume auf der Linken. Auf der anderen Seite liegt des Kanzlers Mini-Bad. Sieht aus wie im Asylbewerberheim. Die Dusche hat etwa einen halben Quadratmeter Fläche. Um den üblichen Fragen zuvorzukommen, sagt Czeratzki: 'Kanzler Kohl war nie hier drin, bei den Übungen gab es einen Ü-Kanzler. Ü steht für Übung.' Er sagt das, weil Kohl nie in die Dusche gepaßt hätte. Czeratzki taut auf: Der Bunker sei Beweis für Westdeutschlands wahrhafte Demokratie.
'Ich hab' mir Bunker in Ostdeutschland angeschaut, mit holzgetäfelten Honecker-Räumen, reinster Luxus. Hier im Bunker wären alle gleich gewesen.' Dann greift er in den Kanzler-Spind, holt einen Besen raus. 'Jeder hätte hier seinen Raum selber saubermachen müssen. Jeder!
Ganz demokratisch.'
3000 überleben, der Rest nicht - ist das demokratisch? Darüber will er nicht sprechen, nicht nachdenken. 'Rein philosophische Frage.' Dafür war er nie zuständig. In den Kantinen wären in den Anfangstagen des Atomkriegs noch aktuelle Zeitschriften verkauft worden. Alkohol hätte es gegeben, natürlich gegen Bezahlung. Alles wäre korrekt abgelaufen.
Vorbei. Auch die Bundeswehr holt ihr Zeug nach und nach ab. In den Lagerräumen hängen noch Landkarten auf deckenhohen Schiebetafeln. 'Sowjetische Besatzungszone', steht da. Und 'Gebiete unter fremder Verwaltung'. Damit sind Teile Polens gemeint. An der Wand ein Metallschrank, voll magnetischer Panzer-, Flugzeug-, Hubschrauberbuttons, dazu große und kleine Pfeile in verschiedenen Farben für die Truppenbewegungen oben in der Welt.Alles hätte funktioniert. Da ist sich Czeratzki sicher. Ein Mann vom Roten Kreuz hatte vorhin, noch keine 15 Meter im Berg, einen klaustrophobischen Anfall. Sollte Feldbetten anschauen, die könnte das DRK vielleicht brauchen. Mußte schnell rausgebracht werden.Atomkrieg und Platzangst. Was wäre passiert? 'Kein Problem', Czeratzki geht weiter in den Berg, 'Schleusen'. Schleusen? 'Ja, Schleusen', und erklärt noch ein paar hundert Meter weiter:Die panische Person wird vor ein Tor gesetzt. Dieses schließt, dann geht das Außentor auf.
Das Problem wäre draußen in der Welt.....................
CHRISTIAN LITZ




Bauwelt 1999 13


Kirche, Rathaus und Markt. Das waren die drei zentralen Orte einer Stadt. Sie standen für mehr als nur „Dienstleistung“, sie waren Symbole der geistlichen Macht, der weltlichen Macht und der Macht des Geldes. Kirchtürme und Rathaustürme bestimmten die Stadtveduten, die einen meist höher und zahlreicher, die anderen dafür von unübersehbarem Stolz. Mit dem Bedeutungsverlust von Glocken und Turmuhren für das öffentliche Leben kamen auch die Türme selbst außer Mode. Die Kirchen gaben ihre jahrhundertealten Traditionen auf und schlüpften in vielerlei Gewänder, falls dennoch mit Turm, dann mit einem abgemagerten Glockenstützgerüst. Aus stolzen Rathäusern wurden anonyme Büro-Areale, leicht zu verwechseln mit Schulen oder Versicherungshauptverwaltungen. Die Märkte schließlich verschwanden im Shopping-Center mit Autobahnanschluß.
Ein Heft über Rathäuser rechtfertigt sich also nur, wenn es einige der seltenen Versuche zeigt, wie das Selbstverständnis einer Gemeinde und ihrer kommunalen Vertreter an repräsentativem Ort durch Architektur ausgedrückt werden kann. Gelungen ist das - in unterschiedlicher Größenordnung und mit unterschiedlichen Mitteln - im südspanischen Murcia, in der 1000-Seelen-Gemeinde Lengdorf in Oberbayern und der Streusiedlung Jona im Peripherie-Gürtel Zürichs, jeweils mit drei mutigen Identifikationen. anz im Gegensatz zur Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Diese versuchte, unsichtbar zu werden, abzutauchen in absolut unzugängliche Räume, die mit dem Begriff Architektur nur unter umgekehrten Vorzeichen zu beschreiben sind. Nun, da die geheime „Dienststelle Marienthal“ ihre Funktion verloren hat, weil mit einem atomaren Überfall nicht mehr täglich zu rechnen ist und die „Verfassungsorgane des Bundes“ im Begriff sind, ostwärts zu ziehen, nun, im Jahr 28 nach Fertigstellung des Regierungsbunkers in der Eifel, ist daraus eine fünf Milliarden Mark teure, 19 Kilometer lange Immobilie geworden, die die Bundesvermögensverwaltung zu veräußern gehalten ist und auf der sie wohl sitzenbleiben wird


Als die Bundesrepublik der Nato beitrat, bekam sie die Auflage, einen sicheren Regierungsbunker zu bauen. In Marienthal gab es bereits einen langen Tunnel. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatten hier Gefangene der Außenstelle Rebstock des
Konzentrationslagers Buchenwald unter Aufsicht der SS V2Raketenhergestellt. Daneben befanden sich einige kleinere Stollen, die den Zivilisten der Gegend als Luftschutzräume gedient hatten.1960 wurde mit dem Bunkerbau begonnen, der Ostteil war 1965 fertig, der Westteil 1972. Seit Mitte der sechziger Jahre gab es alle zwei Jahre Übungen. Für den Bunker wurde der damals bestmögliche Beton, B 300, verwendet, mehr Eisen als Beton, 60 Zentimeter dick, drumherum eine Glasfaserhülle und eine Bitumenschicht. Die Bundesbauordnung galt hier nicht. Architekten waren an der Planung nie beteiligt, das machten die Ingenieure der Bundesbaudirektion selber.
Der Bunker ist eine Stadt mit fünf autarken Bezirken, die sich sehr ähneln. Ein Mittelgang, mehrere Parallelgänge, kleine Räume links und rechts. Unter den Gängen Bilgen, vollgestopft mit Rohren. Auf Plänen ist zu sehen, daß ein Gang im Ostteil des Berges einfach Richtung Westen gespiegelt wurde. In jedes Fünftel hätten 600 Leute gepaßt, jedes hat einen Speisesaal, in dem es aktuelle Zeitschriften zu kaufen gegeben hätte. Bei einem Atomkrieg wären die aber nicht aktualisiert worden - aus leicht nachvollziehbaren Gründen.

eder Bunkerteil hat eine Klinik mit Chirurgie und Apotheke. Alle Räume sind klein, es gibt keine Säle. In 60 Meter Tiefe sind die fünf Teile verbunden, aber in Sekunden hätte man einen davon verabschieden, die Tore für immer schließen können. Jedes der Fünftel hat eine Großküche, einen Kontrollraum, Unterkünfte, Tanks, Klimatechnik und Luftfilter. Es hätte dreißig Tage alleine vor sich hin vegetieren können.
Trotz seiner Größe ist es im Bunker eng. Die Menschen hätten in Vierbettzimmern geschlafen, zwei Doppelstockbetten, ein Tisch, vier Stühle, vier Spinde, mehr nicht. Alle Räume wirken wie in einer Asylbewerberbaracke. Auch das Kanzlerschlafzimmer hat keinerlei Charme: Raum 08 im Bauwerk 06 ist vier auf zwei Meter. Ein Spind, ein Stuhl, ein Feldbett, ein helles Telefon auf dem grünen Boden. Das rote und das blaue wurde bereits entfernt. Des Kanzlers Dusche ist extrem klein. Der Bundespräsident hingegen hätte eine kurze Badewanne gehabt. Das Kanzleramt sind drei Miniräume. Kanzler und Präsident waren nie drin, bei Übungen kam ein Ü-Kanzler und ein Ü-Präsident. Ü steht für Übung. Die Räume sind 2,10 Meter hoch, der Boden ist Linoleum, grau-blau, meist aber grau-grün, die Wände teilweise aus dunkelgrünem gelochtem Metall. Es gibt einige wenige Räume, deren Decke 2,60 Meter hoch ist. Meist sind das die Konferenzräume. Ein richtiger Ken-Adams-War-Room fehlt. Alles ist klein hier unten, selbst der Raum, in dem ein Militärseelsorger ökumenische Gottesdienste gehalten hätte.

Kreis AW online:


28.01.1999

Weiler unterstützt Wirz-Vorschlag

Bunker als Münzlager nutzen - Schreiben an Lafontaine, Duisenberg und Tietmeyer

Den Vorschlag des Landtagsabgeordneten und Kreisbeigeordneten Walter Wirz zur Nutzung des Regierungsbunkers Marienthal als zentralen Lagerplatz für
DM- und EURO-Münzen hat jetzt Landrat Joachim Weiler offiziell unterstützt. In vier Schreiben an Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, den Präsidenten der
Europäischen Zentralbank in Frankfurt, Willem F. Duisenberg, den Präsidenten der Deutschen Bundesbank in Frankfurt, Professor Dr. Hans Tietmeyer, sowie
den Präsidenten der für die Verwertung der Marienthaler Anlage zuständigen Oberfinanzdirektion Koblenz, Konrad Laube, führt Weiler mehrere Argumente an.

Der ehemalige Ausweichsitz der Verfassungsorgane im Ahrtal sei zentral gelegen, entspreche allen Sicherheitsanforderungen, biete mit 83.000 Quadratmetern
Nutzfläche eine hohe Platzkapazität und schaffe die Möglichkeit, auf eine kostenträchtige Verteilung der Münzen auf mehrere Standorte zu verzichten. Die
Lagerung des alten und neuen Geldschatzes, der für die Bundesbank ein großes logistisches Problem darstelle, solle für eine Nachfolgenutzung des
Regierungsbunkers in Betracht gezogen werden, fordern Weiler und Wirz.


© Kreisverwaltung Ahrweiler - 28.01.1999

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